Clouds

Die Macht der Wolken

Seine Geschichte begann mit einem Blick nach oben. Es war ein sonniger Tag und das tiefe Blau des Himmels wurde ergänzt durch gewaltige Wogen weißer Wolken. Es waren Kunstwerke, wahrliche Meisterstücke der Natur. Gewaltig und strahlend wurden sie vom Wind über den Himmel getrieben und waren immerfort unterwegs. Seine Augen streiften über den Himmel und betrachteten die Kolosse. Schon jetzt keimte ein neues Gefühl in ihm auf, das die alltäglichen Sorgen und Freuden langsam, aber sicher verdrängte. Er stoppte, schirmte seine Augen gegen die Sonne ab und gab sich ganz und gar dem Himmel hin. Das neue Gefühl war eine Art Freiheit, eine unbändige Kraft, die ihn dem Himmel entgegen sog. Er fühlte sich, als würde die Schwerkraft für einen Moment nachlassen und als ob er federleicht in das Blau des Himmels hüpfen könnte. In der Ferne verdunkelten sich die Wolken, am Horizont war das strahlende Weiß einem eher bedrohlichen Grau gewichen. Die Wolkentürme waren dort umso größer und mächtiger und kündigten eine nahende Gewitterfront an. Während sich seine Augen an den Formen der weißen Luftschlösser ergötzten, wurde das Gefühl der Freiheit immer stärker. Es drohte ihn beinahe zu überrollen und er musste einige Male tief durchatmen, um sich wieder etwas zu beruhigen. Während er die Wolken bis jetzt als feste Gebilde betrachtet hatte, fingen seine Gedanken nun an, diese Sicht zu zerlegen. Er überlegte sich, woraus Wolken eigentlich bestanden, fing an, die Mischung dieser weißen Kolosse gedanklich näher zu untersuchen. Zum größten Teil war es einfacher Wasserdampf. Diese weißen Kolosse waren Teil des Wasserkreislaufs, sie wurden über größeren Wasserflächen durch die Kraft der Sonne gebildet, zogen dann weite Strecken übers Land und lösten sich schließlich wie die grauen Wolken dort am Horizont in Form von Regen wieder auf. Sie zersetzten sich selbst, ließen ihre Konsistenz auf das Land hinabfallen und existierten danach einfach nicht mehr. Es waren keine Luftschlösser, es waren kleine Rädchen in einem globalen Mechanismus, der jeden Tag funktionierte und sich scheinbar in einem endlosen Kreislauf befand. Die Klarheit dieser Erkenntnis fügte dem Gefühl der Freiheit eine zusätzliche Komponente hinzu. Er spürte eine Bitterkeit, die zusammen mit den Gedanken über den Ursprung dieser weißen Kunstwerke immer stärker wurde und schließlich mit der Freiheit die Waage hielt. Es waren keine Luftschlösser. Da oben war nichts als Wasserdampf, einfache Teilchen, die durch Wind ins Land getrieben wurden und sich dann auflösten. Niemals würde er auf ihnen herumspazieren können, es waren keine festen Gebilde am Himmel, sondern eher ein Ausdruck der Vergänglichkeit. Es waren Momentaufnahmen der Kreativität der Natur, Kunstwerke, die die Natur wenige Augenblicke später wieder zerstören würde, als ob sie niemals mit ihren Werken zufrieden wäre. Vielmehr noch waren diese himmlischen Meisterstücke noch nicht einmal gewollt, sie waren das Produkt von Gesetzmäßigkeiten, die die ganze Welt umspannten. Die Wolken waren der Ausdruck eines Mechanismus, der jeden Tag exakt gleich funktionierte und sich scheinbar niemals änderte. Diese Gedanken fügten seinem Gefühlsgemisch eine weitere Zutat hinzu. Es war eine Art Unzufriedenheit mit der Welt selbst, ein Wunsch nach einer grundlegenden Veränderung in der Architektur dieses Daseins. Die Freiheit und die Bitterkeit wurden ergänzt mit einer Rebellion gegen die Gesetze der Natur, die diese weißen Riesen wie Sklaven über den Himmel trieben. Er wünschte sich von der Erde abzuheben und zusammen mit den Wolken über den Himmel zu fliegen. Er wünschte sich ihre Formen und weißen Wogen genauer zu erkunden, war gespannt welche Geheimnisse sich dort oben wohl verstecken würden. Gleichzeitig übermannte ihn aber auch die Bitterkeit. Er wusste insgeheim, dass dort oben keine Geheimnisse auf ihn warteten. Stattdessen waren es die üblichen, bekannten Teilchen des Wassers, die sich dort zu einem Gebilde zusammenschlossen, dessen Struktur bestimmt war von einem geregelten Chaos. Die Bitterkeit verwandelte sich in Wut. Eine Wut über diese Rationalität der Natur, über die immer gleichen Regeln dieser Welt, über den Mechanismus des Universums. Er wünschte sich Veränderung, wünschte sich eine Überraschung inmitten all dieses trostlosen Gleichseins. Doch während sein Blick weiter über den Himmel wanderte, löste sich diese Wut wieder auf und wich dem bekannten Gefühl der Freiheit. Er war gefangen in einem Kreislauf der Gefühle. Gefangen in einer Wolkenbildung seines Innersten. Es war, als ob er selbst zu einer Wolke wurde und vom Wind der Gefühle durch seine Gedankenwelt getrieben wurde. Eine Weile lang stand er einfach nur da und ließ den ständigen Wechsel über sich ergehen. Sein Blick schweifte weiter über den Himmel und blieb an einer besonders ausgeprägten Wolke hängen. Wie ein zerrupfter Wattebausch hing sie dort oben am Himmel und ließ sich, genau wie er, einfach nur treiben. Seine Gefühlswelt wandelte sich zu einer Art Ruhe, einer Zufriedenheit, die die ganze Bitterkeit und Wut von zuvor einfach ersetzte. Es war alles gut so wie es war. Die Welt bot genügend Geheimnisse, die man entdecken konnte und Menschen selbst waren Musterbeispiele für Wesen, die sich den Gesetzen dieser Welt regelmäßig widersetzen. Sie kämpfen oft gegen den Wind an, wollen selbst bestimmen, wohin sie getragen werden und wo sie sich in einem Regenschauer auflösen. Menschen wollen ihre Form selbst bestimmen, sie wollen den Wattebausch ihrer Persönlichkeit selbst formen und nicht von den Regeln der Natur vorgeben lassen. Statt einem einheitlichen Mechanismus zu folgen, betonen Menschen ihre Einzigartigkeit auf ihre eigene Weise. Und immer wieder versuchen sie die zugrunde liegenden Regeln zu brechen, noch mehr zu schaffen als jemals zuvor. Es war dieses einzigartige Streben, in dem er die Geheimnisse dieser Welt bewundern konnte. Es war dieser Versuch des Wachsens, der ihm neue Hoffnung gab, irgendwann doch noch wie ein Vogel aus dieser Gleichartigkeit aufzusteigen. Regeln waren dazu da, gebrochen zu werden. Der Mechanismus der Welt musste erforscht und umgangen werden. Nur so würde es den Menschen ermöglicht werden, ihre Einzigartigkeit in der reinsten Art und Weise voll auszuleben. Sie mussten sich loslösen von den natürlichen Schranken, er musste sich loslösen von den imaginären Regeln, die scheinbar überall galten. Er musste einen Status erreichen, der sein biologisches Ich hinter sich ließ und stattdessen in einem ganz und gar freien Zustand über den Himmel schwebte. Er musste den Wind selbst ersetzen durch seine eigene Erfindung, musste die Gesetze der Physik verändern, um endlich ein wahres Gefühl der Freiheit zu verspüren. Das Loslösen des menschlichen Geistes von der natürlichen Umgebung dieser Welt war der nächste Schritt in dieser scheinbar endlosen Entwicklung, die ohne jeden erkennbaren Sinn und Zweck immer weiter in eine Richtung hetzte. Es war eine Reise ins Ungewisse, ein Entdecken von Geheimnissen und das größte Abenteuer, das man sich vorstellen konnte. Das Gefühl der Ruhe wurde abgelöst von einem Kampfgeist, der eine neue Flamme in ihm entfachte. Dieser eine Gedanke, dieses Ziel vom Streben nach der absoluten Freiheit ließen seinen Körper vor Energie beinahe vibrieren. Die Wolken, die er nun so lange betrachtet hatte, waren ein Ausdruck von Sklaverei. Ein Ausdruck der Unterdrückung in einer kalten Welt aus Regeln und immer gleichen Mechanismen. Diesem System würde er sich nicht unterwerfen. Er würde kein Teilchen in diesem scheinbar endlosen Spiel der Gewalten sein. Er war ein Rebell gegen die Natur selbst. Es galt neue Geheimnisse nicht nur zu entdecken, sondern sie sogar selbst zu erfinden. Anstatt immer nur etwas in seiner Umgebung zu suchen, würde er nun anfangen diese Umgebung selbst zu erschaffen. Er würde die Regeln dieser Welt brechen und die Wolkenbildung der Gefühle ein für alle Mal durch ein allgegenwärtiges Gefühl der Freiheit ersetzen. Mit Zufriedenheit und energischem Tatendrang riss er seinen Blick vom Himmel los. Die Welt um ihn herum erschien so klar und scharf wie schon lange nicht mehr. Er wollte Jubeln, Schreien und Tanzen zugleich. Strebend nach seiner eigenen Welt ging er an die Arbeit.