Der Berg
Ihre Geschichte begann mit einem unkontrollierten Zittern. Das Gefühl der Unsicherheit überkam sie wie ein kalter Schauer. Wie ein Stich breitete es sich in ihrer Magengegend aus und ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hatte das Gefühl, tief Luft holen zu müssen, doch das Einatmen fiel ihr schwer, sie atmete oberflächlich und schnell. Trotz der unangenehmen Komponente brachte diese Unsicherheit jedoch auch etwas Bekanntes mit sich: Sie hatte sie schon so oft verspürt, war mit ihr auf traurige Art und Weise bekannt. Auch jetzt saß sie wieder an ihrem Schreibtisch und malte sich in Gedanken den Berg von Arbeit aus, der in den kommenden Wochen vor ihr lag. Es waren Aufgaben, bei denen sie noch nicht einmal wusste, wie sie diese angehen sollte. Im Gegensatz zur Unsicherheit war sie mit diesen Aufgaben noch nicht vertraut und genau dieses Unbekannte und Neue löste unangenehme Gefühle in ihr aus. Mit einem Mal schaffte sie es, ihren Atem zu beruhigen und ein paar Mal tief Luft zu holen. Sie durfte sich nicht übermannen lassen. Das Gefühl der Unsicherheit konnte schnell in die Angst umschlagen, die ihr schon so oft den Verstand vernebelt hatte. Wenn sie dieser Angst erst einen Platz bot, würden die Wogen der Unsicherheit über ihr zusammenschlagen und der Berg von Aufgaben würde einem Henker gleichen, der ihr im nächsten Moment den Garaus machte. Sobald sie die leisesten Anzeichen dieser Angst verspürte, kämpfte sie dagegen an, besann sich auf ihre Fähigkeiten, mit denen sie sich in der Vergangenheit immer wieder aus Situationen wie dieser herausgekämpft hatte. Sie schloss die Augen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Jeder noch so große Berg an Aufgaben hatte einen Anfang und genau diesen würde sie bewältigen. Dann würde sie die nächste Aufgabe in Angriff nehmen und alle einzeln nacheinander abarbeiten. Es gab keinen Grund zur Sorge, alles würde so laufen wie immer, sie konnte sich selbst vertrauen. Mit einem tiefen Seufzer versuchte sie sich von den letzten Resten der Unsicherheit zu befreien, doch das Gefühl blieb hartnäckig spürbar und erforderte eine ständige Anstrengung. Sobald sie ihren Gedanken freien Lauf ließ, drehte sich alles nur noch um die kommenden Herausforderungen, die Deadlines und die Ungewissheit, wie sie das alles bewältigen sollte. Ein solcher Gedanke konnte eine Gefühlskaskade auslösen, mit der sich ihr Herz wieder beschleunigte, ihre Atmung flacher wurde und der Kloß in ihrem Hals überhandnahm. Es war wieder einmal ein ständiges Auf und Ab, ein Kampf zwischen Gefühlsfluten, in denen man ständig zu ertrinken drohte. Doch dann, nach längerem, kräftezehrenden Tauziehen beschlich sie eine leise Klarheit. Sie hatte den vor ihr aufragenden Berg lange genug betrachtet, um ihn in seine Einzelteile zu zerlegen. Plötzlich hatte sie einen passenden Anfang gefunden. Das Gefühl der Unsicherheit wurde nun durch eine Gewissheit verdrängt, die ihren Ursprung in dem Wissen über ihre Fähigkeiten hatte. Sie würde sich nicht von diesem Gefühl des Unbekannten einnehmen lassen! Stattdessen würde sie ihm freudig entgegenlaufen und sich mit all ihrer Kraft und Neugier in die Ungewissheit stürzen. Sie überkam ein Gefühl freudiger Erwartung, statt dem bedrohlich aufragenden Berg voll Ungewissheiten und Gefahren sah sie nun zahllose Chancen, sich wieder einmal gegen ihre Umgebung zu behaupten und ihren eigenen Stolz zurückzugewinnen. Sie würde nicht klein beigeben, sondern würde alles, was sich ihr in den Weg stellte, rigoros entfernen. Sie öffnete die Augen und begann zu lächeln. Dies war das Gefühl, auf das sie gewartet hatte. Dies war das Gefühl des Mutes, mit dem sie wusste, alles erreichen zu können. Wieder wurde ihr Kampf gegen das Ungewisse mit einem Triumph belohnt, der sie stärker machte als zuvor. Aus der Unsicherheit und Angst wurden Vertrauen und Mut, die ihr bei jeder noch so schwierigen Aufgabe beistehen würden. Mit dem nächsten Atemzug waren alle Zweifel restlos verschwunden. Sie streckte sich, reckte den Kopf nach oben und ging mit einem siegessicheren Lächeln an die Arbeit.