6) Warum suchen?
Warum sollten wir nach dem Ursinn suchen?
Ein erstes Argument dafür basiert wieder auf dem menschlichen Streben, das schon im dritten Teil von Philoskopos als ein essenzieller Bestandteil des menschlichen Bewusstseins und als ein Teil des „Motors des Fortschritts“ dargestellt wurde. Seit dem Beginn unserer Existenz, also dem ersten Detektieren von Informationen, sind wir es gewohnt, Neues zu lernen. Unsere kindliche Neugier hilft uns in unseren ersten Jahren dabei, die Außenwelt möglichst schnell kennenzulernen und in ihr zu überleben. Wie schon früher beschrieben ebbt diese Neugier dann jedoch bald ab, das ständige Erneuern der eigenen Software wird anstrengend und wir beschränken uns meist auf unsere schon bekannten Fähigkeiten und unser bestehendes Wissen. Diese Stagnation der Neugier kann dann jedoch durch das menschliche Streben durchbrochen werden, vorausgesetzt das Leben lässt genügend Freiheit, um für solche Grübeleien überhaupt Zeit zu haben. Wird diesem Streben jedoch nachgegangen und durchläuft man den im vierten Teil von Philoskopos beschriebenen Prozess des Verlusts der Objektivität, dann entsteht aus dem kleinen Funken des anfänglichen Strebens ein loderndes Feuer für die Wahrheit. Nährt man dieses Feuer mit weiteren Fragen, so scheint die Suche nach dem Ursinn unausweichlich. Eine Suche liegt dann in unserer Natur, verankert in unserem natürlichen Drang zu streben, sobald wir diesem Drang offen nachgeben. In diesem Zustand werden uns keine selbstauferlegten Sinndefinitionen zufriedenstellen. Es wird nicht möglich sein, uns selbst zu überzeugen, dass wir die Schöpfer unseres Sinns sind. Vielmehr werden diese Versuche uns falsch und heuchlerisch erscheinen und wir würden erkennen, dass hinter all dem nur der verzweifelte Versuch steht, dem Gefühl der völligen Unsicherheit zu entrinnen. Wenn wir dieser Unsicherheit jedoch mit dem Streben nach der Wahrheit begegnen, dann schöpfen wir die dazu notwendige Kraft aus unserer eigenen Natur und unser Streben wird zu einem selbsterhaltenden System, das uns ab diesem Zeitpunkt fortwährend vorantreibt und am Leben erhält.
Ein zweites Argument für die Suche nach einem möglichen Ursinn ist eine Abwandlung der pascalschen Wette. Pascals Argument für den Glauben an Gott war die Überlegung, dass ein solcher Glaube im Erwartungswert immer positiv enden würde. Wenn Gott existiert und man an ihn glaubt, dann würde man mit dem ewigen Leben belohnt werden. Wenn Gott nicht existiert und man dennoch an ihn glaubt, hätte man nichts verloren, sondern würde einfach sterben. Anders als bei Nichtglauben (hier würde man im Fall von Gottes Existenz keine Belohnung bekommen) hätte man also in jedem Fall einen positiven oder zumindest neutralen Ausgang. Pascals Argument lässt sich leicht kritisieren, dient an dieser Stelle jedoch nur als Basis für das folgende abgewandelte Argument.
Denn wenn es einen Ursinn tatsächlich geben sollte, dann besteht unsere einzig sinnvolle Aufgabe darin, diesen Ursinn auch tatsächlich zu suchen. Durch die Vollkommenheit des Ursinns, also durch dessen selbsterklärende und nicht hinterfragbare Natur, ergibt sich die Suche danach in diesem Fall von selbst. Je schneller wir den Ursinn dann finden und je aktiver wir danach suchen, desto besser. Wenn es jedoch keinen Ursinn gibt und unser Leben tatsächlich keinen objektiven Grund hat, dann ist jede Aktion per Definition sinnlos. Auch in diesem Fall könnten wir uns unseren Sinn jedoch nicht selbst geben, jeder Versuch, dies zu tun, wäre schlicht eine Selbstlüge als Ausweg aus der Verzweiflung. Eine Suche nach einem Ursinn wäre in diesem Fall zwar sinnlos, hätte jedoch keine negativen Konsequenzen. In jedem Fall erscheint eine Suche nach dem Ursinn also positiv oder wenigstens neutral.
Die Frage, warum wir nach dem Ursinn suchen sollten, erweist sich bei genauerer Betrachtung der Natur dieser Suche sowieso als fraglich. Da wir momentan keine objektiven Hinweise haben, wie wir auf einer solchen Suche überhaupt vorgehen sollten, lässt sich jede mögliche Aktion als eine Suche nach dem Ursinn uminterpretieren. Es stellt sich also vielmehr die Frage, ob man, vorausgesetzt man glaubt an die mögliche Existenz eines Ursinns, überhaupt in der Lage ist etwas anderes zu tun als danach zu suchen. Denn auch der aktive Vorsatz, nicht danach zu suchen, könnte als Suche aufgefasst werden, wenn man der Meinung ist, dass der Ursinn nur dann gefunden wird, wenn niemand mehr danach sucht. Interessanter ist die Frage, ob wir uns überhaupt jemals sicher sein können, einen Ursinn gefunden zu haben. Diese Frage wird im nächsten Teil von Philoskopos genauer untersucht.