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3) Der Motor des Fortschritts
In unseren ersten Lebensjahren werden unsere Sensoren mit neuen Informationen bombardiert. Wir sind laufend damit beschäftigt, diese Neuheiten in unsere Software zu integrieren und müssen uns jede noch so alltägliche Aktion anlernen. Dementsprechend sind wir es gewohnt, Entdeckungen zu machen und betrachten alles mit einer verspielten Neugier. Mit steigendem Alter tauchen jedoch vermehrt zwei Phänomene auf. Erstens merken wir, dass unsere Software, an der wir so aktiv arbeiten, Fehler enthält. Je komplexer die von uns detektieren Informationsmuster werden, desto öfter stellen wir fest, dass wir vorherige Informationen falsch interpretiert haben und unsere Software dementsprechende Denkfehler aufweist.
Als zweites Phänomen merken wir nach und nach, wie unvollständig unsere Software ist und wie gigantisch die Menge an detektierbaren Informationsmustern in unserer Außenwelt tatsächlich ist. Je umfangreicher unsere Software jedoch wird, desto schwieriger wird auch das Umstrukturieren und neu Aufsetzen derselben. Das Integrieren neuer Informationen und vor allem das Ausmerzen vorhandener Denkfehler wird dementsprechend beschwerlich und anstrengend. Zudem entdecken wir die Limitierungen unserer Hardware-Software Kombination und merken, dass uns manche Aufgaben im Leben einfacher fallen als andere. Unter zusätzlichem Druck der Gesellschaft, seien es Notensysteme in der Schule oder später Leistungsdruck in der Arbeit gehen wir immer schneller dazu über, uns auf die einfachen Aufgaben zu beschränken. Wir verlassen uns auf das, was wir schon gut können und verlieren nach und nach diese verspielte Neugier, die wir als Kinder einmal hatten. Angesichts der schieren Masse von Informationen blenden wir den Informations- und Ideenstrom der Gesellschaft meist einfach aus und vermeiden es, unsere eigene Software grundlegend infrage zu stellen.
Gleichzeitig verspüren wir aber immer noch einen Drang nach Antworten. Wir wollen die Welt um uns herum verstehen. Wenn eine Mauer gebaut wird, wollen wir wissen, was dahinter ist. Wenn wir einen Zaubertrick sehen, wollen wir verstehen, wie er funktioniert. Wir sehnen uns nach Verständnis und fühlen uns zum Unbekannten hingezogen. Hieraus entsteht ein Konflikt, der unser Leben ganz zentral formt. Auf der einen Seite steht die aktuelle Version unserer Software und mit ihr all unsere Erwartungen und all unser bisheriges Verständnis der Welt. Das Abändern dieser Software ist mit Anstrengungen verbunden und fällt uns mit zunehmendem Alter meist schwer. Auf der anderen Seite stehen jedoch Widersprüche zu unserem Verständnis, das Unbekannte zeigt uns die Lücken unserer Software und lockt uns mit geheimnisvollen Ideen und Mustern.
Diesen Dualismus lösen wir mit einer Eigenschaft, die scheinbar tief in unserer Software vergraben ist und die seit jeher von Generation zu Generation weitergegeben wird: unser Streben. Die verspielte Neugier unserer Kindheit ersetzen wir durch das Streben, uns über unser Selbst hinwegzusetzen und es mit den Anstrengungen der Erneuerung unserer Software aufzunehmen. Unser Streben gibt uns die nötige Kraft, die Fehler unseres Denkens weiterhin auszumerzen und das Unbekannte zu erforschen. Um dies zu tun, müssen wir unsere eigene Unzulänglichkeit jedoch erst anerkennen. Der eigene Hochmut und die Ignoranz gegenüber möglichen Fehlern in unserem eigenen Denken sind hierbei unsere größten Feinde. Wir müssen akzeptieren, dass unsere Software voller Fehler ist und dass wir diesen Fehlern meist auch nicht ausweichen können. Niemand kommt ohne Denkfehler aus, das Essentielle ist jedoch, wie wir mit unseren Fehlern umgehen. Statt am Vermeiden von Fehlern zu verzweifeln, sollten wir uns viel mehr damit beschäftigen, wie wir unausweichliche Fehler möglichst schnell korrigieren. Unsere Aufgabe ist es, Mechanismen zu entwickeln mit denen wir Fehler in unserem Selbst möglichst schnell detektieren und beheben können. Die Fehlerkorrektur ist hier zielführender als die Fehlervermeidung. Gespräche mit anderen und ein ständiges Hinterfragen unserer eigenen Ansichten sind hier Beispiele für nützliche Hilfestellungen.
Gewappnet mit dem Streben nach Unbekanntem und einer effizienten Fehlerkorrektur begeben wir uns dann an die Arbeit. Wir haben die nötigen Mittel, unsere Software weiterzuentwickeln und stoßen in neue Informationsgebiete vor. Kurz: Wir generieren Fortschritt. Streben und ständige Fehlerkorrektur sind der Motor dieses Fortschritts, der uns über unsere Grenzen hinauswachsen lässt und uns immer mehr auf die großen Fragen des Lebens hintreibt.