A futuristic house

11) Über den Hausbau

Die letzten Philoskopos Teile haben die Untersuchung eines möglichen Ursinns abgeschlossen. Teil vier hat die Suche nach einem solchen Ursinn mit unseren Grundbedürfnissen motiviert und hat festgestellt, dass es in unserer menschlichen Natur liegt, nach einem Ursinn zu suchen. Teil fünf hat die Eigenschaften des Ursinns beschrieben und ist zu dem Schluss gekommen, dass ein Ursinn vor allem nicht mehr hinterfragbar und selbsterklärend ist. Diese Eigenschaft ist für uns Menschen momentan noch unbekannt, da in unserer Welt bisher alles infrage gestellt werden kann. In Teil sechs wurde argumentiert, warum wir einen solchen Ursinn suchen sollten und es wurde noch einmal das menschliche Streben herausgestellt, das uns auf ganz natürliche Weise zum Ursinn hintreibt. Der siebte Philoskopos Teil hat die Frage erkundet, ob wir einen solchen Ursinn überhaupt wirklich finden können und Teil Acht hat unsere Rolle bei der Suche danach genauer beleuchtet. Zusammen mit der Diskussion eines möglichen freien Willens in Teil Zehn wurde klar, dass wir bei der Suche nach dem Ursinn keine wirklich aktive Rolle haben. Auch wenn wir einen freien Willen besitzen, haben wir keinen Anhaltspunkt, wie wir den Ursinn finden und können daher auch keine Aktionen priorisieren. Stattdessen wäre das einzig Sinnvolle, das Ausführen der Aktionen zu beschleunigen. Das ist jedoch nicht möglich, da wir schon jetzt in jeder Sekunde kontinuierlich Aktionen ausführen und gleichzeitig durch das Fortlaufen der Zeit beschränkt sind. Allein durch die Tatsache, dass wir leben, suchen wir gewissermaßen also schon andauernd auf dem besten Weg nach dem Sinn. Diese Erkenntnis ist befreiend: Wir müssen uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie wir den Sinn finden, sondern können im Prinzip machen, was wir wollen. Egal welche Aktion wir ausführen, wir suchen immer gleichzeitig auch nach einem Ursinn und falls es einen solchen tatsächlich gibt, ist diese Suche das einzig Sinnvolle, was wir machen können. Der Sinn dieser Suche überträgt sich damit auch auf all unser tägliches Handeln und rechtfertigt all unsere Aktionen, ohne, dass wir diese aktiv verteidigen müssten. Die Tatsache, dass wir von Natur aus ständig aktiv sind, ob wir nun still sitzen, reden, rennen oder denken, ist an sich schon eine Quelle des Sinns.

Mit dieser Argumentation sind wir befreit von der Bürde der Sinnsuche und haben die freie Auswahl darüber, welche Art von Leben wir führen wollen. Seit unserer Geburt sind wir mit der Verarbeitung von Informationen der Außenwelt beschäftigt. Aufgrund unseres Strebens fangen wir dann ab einem bestimmten Zeitpunkt an unsere Existenz zu hinterfragen und einen Sinn in all diesen Informationen zu suchen. All das Gelernte, all die sozialen Normen und Konstrukte unserer Gesellschaft erscheinen widersinnig und rein biologisch motiviert. Im Laufe der Sinnsuche reißen wir diese Gebilde, diese ganze Stadt nach und nach ein, bis wir, wie mit der obigen Argumentation feststellen, dass die Sinnsuche auch ohne unser aktives Zutun ständig stattfindet und wir dabei eigentlich gar nicht aktiv werden können. Damit stehen wir nun in einem Trümmerfeld aus den Konstrukten der Gesellschaft und sind gleichzeitig davon befreit, dieses Trümmerfeld noch weiter zu zerschlagen. Wir stehen vor dem Nichts und gleichzeitig vor einer Welt voll neuer Möglichkeiten. Das erste Mal in unserem Leben können wir unsere ganz eigenen Gebilde bauen und unsere eigenen Informationsmuster zusammenfügen.

Mit dieser Auswahl, dieser grenzenlosen Freiheit kommt jedoch wieder eine Verantwortung. Wir müssen uns zwischen verschiedenen Lebensarten entscheiden. Jede Entscheidung, die wir dabei treffen, trägt einen kleinen Teil zu unserer zukünftigen Persönlichkeit bei. Jede Entscheidung ist ein kleiner Baustein für ein Haus, das wir von nun an in dem Trümmerfeld errichten und an dem wir unser ganzes Leben lang arbeiten werden. Es ist das Haus unseres Selbst, eine Heimat für unsere ganz persönliche Kombination von Software und Hardware. Das Haus ist unser Weltbild, unser Modell, mit dem wir die Außenwelt anhand des ständigen Informationsstroms unserer Sensoren nachbilden und durch das wir diese Außenwelt manipulieren. Im zweiten Teil von Philoskopos hatten wir den Ideenstrom der Zivilisation, an dem wir während unseres Lebens teilnehmen. Dieser Ideenstrom fließt nun zwischen den Häusern verschiedener Menschen und transportiert Baumaterialien und Geräte. Er transportiert einerseits all die Konstrukte der Stadt, die wir gerade erst zerstört haben, bietet uns nun jedoch die Möglichkeit, unsere eigenen Materialien hinzuzufügen. Durch die Untersuchung der Frage nach dem Sinn erlangen wir die Möglichkeit, diesen Strom selbst zu bearbeiten. Wir wechseln von einer passiven Rolle, in der wir vom Strom genährt werden und damit nur die Stadt unserer Gesellschaft nachbauen, hin zu einer aktiven Rolle, in der wir unser ganz eigenes Haus designen und damit mit dem Strom in Symbiose leben. Wir verwenden immer noch die Ideen und Baumaterialien anderer Menschen, entscheiden von jetzt an aber selbst, wie diese Ideen und Materialien in unserem eigenen Haus verbaut werden und erfinden ab und zu vielleicht sogar unsere eigenen Baustoffe.

Die Diskussion des Ursinns, die damit einhergehende Zerstörung aller gesellschaftlichen Normen und die Befreiung durch die Erkenntnis, dass wir nichts zu der Sinnsuche beitragen können, macht uns selbst zu den Architekten unserer Persönlichkeit. Um uns herum sind aber natürlich noch alle anderen Menschen, die ebenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre eigenen Architekten werden und damit auch ihre ganz eigenen Häuser bauen. Mit diesen Menschen können wir immer noch interagieren. Während wir deren Ideen zuvor meist nur kopiert haben und die Stadt unserer Gesellschaft einfach akzeptierten, müssen wir in unserer neuen, aktiven Architektenrolle nun aber Kompromisse mit diesen Menschen finden und mit ihnen zu unseren eigenen Gunsten und zum Wohle der Gemeinschaft kooperieren.