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Bild von Pablo Hermoso.

10) Freier Wille

Die letzten Philoskopos Teile basierten auf einer impliziten Annahme. Es war von „unserer“ Suche nach dem Ursinn die Rede. Damit wurde angenommen, dass wir eine aktive Rolle einnehmen, nämlich die Rolle von Suchenden, die zwischen bestimmten Aktionen wählen können und bewusste Entscheidungen treffen. Doch diese Grundannahme kann hinterfragt werden und resultiert in der schon lange existierenden Diskussion um den sogenannten freien Willen. Um diese Diskussion in den Kontext des Ursinns zu stellen, muss zuerst der Begriff des freien Willens näher untersucht und genauer definiert werden.

Der freie Wille ist eine potenzielle Eigenschaft des Menschen, die diesem eine aktive Rolle bei der Wahl seiner nächsten Aktionen zuschreibt. Wenn ein Mensch freien Willen besitzt, so entspringt die Wahl der nächsten Aktion einzig und allein dem Verstand und wäre nicht vorhersagbar. In diesem Fall muss die Wahl also entkoppelt sein von jeder Dynamik, mit der man die Wahl begründen könnte. Der Verstand des Menschen müsste eine Komponente besitzen, die frei ist von den physikalischen Gesetzen unserer Welt, frei von jeglicher Mechanik. Es müsste eine allein stehende Instanz geben, die Entscheidungen aus dem Nichts produziert und allein durch den Menschen selbst erklärbar ist. Irgendetwas in der Software des Menschen oder in den Verschaltungen seiner Hardware müsste kontinuierlich in der Lage sein, unvorhersagbare Gedanken und Ideen zu produzieren. Dieses Etwas darf andererseits jedoch auch nicht rein zufallsbasiert sein. Um von so etwas wie einem freien Willen sprechen zu können, muss dem Menschen eine aktive Rolle zukommen, nur sollte diese Rolle eben nicht von vornherein durchschaubar sein.

Der erste Philoskopos Teil hat Menschen als Maschinen betrachtet. Menschen wurden dort als ein Zusammenspiel von Hardware und Software beschrieben. Die Menschen nehmen Informationen mithilfe der Hardware-Sensoren auf und verarbeiten diese in der Software, die sich laufend optimiert und sich an die eingehenden Informationsmuster anpasst. Der Mensch kommt dabei nur mit einem Betriebssystem auf die Welt, das ausschließlich über die lebenserhaltenden Programme verfügt und die Schnittstelle zur Hardware bietet. Von diesem Standpunkt aus definiert sich der Mensch also vor allem über die in seinem Bewusstsein ausgeführten Programme. Diese entwickeln sich zwar ständig weiter, sind jedoch allein von den eingehenden Informationsmustern abhängig. Je nachdem, wie sich die Software darauf anpasst, lassen sich Entscheidungen vorhersagen oder nicht. Wenn die Software eine zufallsbasierte Optimierung verwenden würde, wären die Entscheidungen zwar nicht vorhersagbar, es wäre aber irreführend, von einem freien Willen zu sprechen, da der Mensch in diesem Fall nur ein Sklave der Stochastik wäre. Die Software muss sich also in einer Art und Weise weiterentwickeln, die sich nicht mit uns bekannten Formalismen beschreiben lässt, die aber trotzdem einem gewissen Schema folgt. Die Natur einer solchen Weiterentwicklung und eines solchen Schemas übersteigt die Vorstellungskraft und soll an dieser Stelle nicht weiter das Thema sein.

Wenn man diese Überlegungen nun auf die Suche nach dem Ursinn bezieht, stellt sich die Frage, was die Existenz oder das Fehlen eines freien Willens für Auswirkungen hätte. Beginnen wir mit der Existenz eines freien Willens und einer aktiven Rolle des Menschen bei der Suche nach dem Ursinn. In diesem Fall läge es allein in der Verantwortung des Menschen den Sinn zu suchen, er hätte aber, wie im achten Philoskopos Teil diskutiert, trotzdem keine sinnvolle Möglichkeit, diese Suche zu gestalten. Auch mit einem freien Willen wäre der Mensch noch ein Gefangener des Stroms der Zeit und dazu gezwungen, in jedem Moment zu existieren und damit auch Aktionen auszuführen. Ein freier Wille würde zumindest jedoch bedeuten, dass der Mensch zwischen Aktionen wählen kann. Man könnte bestimmte Tätigkeiten bevorzugen, wobei die Wahl einzig und allein auf dem eigenen Willen basiert. Der Fund eines Ursinns hätte eine Einschränkung, wenn nicht sogar den Verlust des freien Willens zur Folge. Man könnte sich zwar frei entscheiden, den vom Ursinn logisch abgeleiteten Aktionen zu folgen, allerdings begäbe man sich damit in eine logische Abhängigkeit. Der freie Wille würde ausgetauscht werden durch ein logisches Konstrukt, das auf einem nicht hinterfragbaren Fundament, dem Ursinn, verankert ist. Durch die Natur des Ursinns würde man sich frei in diese Abhängigkeit begeben, denn es gäbe keinen Grund, dies nicht zu tun. Ein gefundener Ursinn wäre so überwältigend, dass der freie Wille in dessen Schatten verschwinden würde. Eine solcher Fund hätte also gewissermaßen einen freiwilligen Verlust des freien Willens zur Folge.

Wenn dem Menschen hingegen nur eine passive Rolle bei der Suche nach dem Ursinn zukommt, wenn es also keinen freien Willen gibt und wir damit nur Beobachter unseres Selbst sind, dann haben unsere Handlungen, die Existenz eines Ursinns vorausgesetzt, schon jetzt einen Sinn. In diesem Fall könnte die Welt gar nicht anders verlaufen, alles würde einem mechanistischen Skript folgen, das irgendwann auf den Ursinn stößt oder auch nicht. Das Skript selbst erbt seinen Sinn jedoch vom Ursinn und überträgt diesen dadurch schon vor der eigentlichen Entdeckung auf unsere täglichen Aktionen. Die Suche nach dem Ursinn und das Finden dessen wäre in diesem Fall also rein zu unserer Zufriedenheit und keine Notwendigkeit. Ohne einen freien Willen könnten wir uns beruhigt zurücklehnen und den vor uns ablaufenden Film mit Spannung betrachten, das Finden des Ursinns wäre nur das Sahnehäubchen, an dem sich unser Bewusstsein ergötzen könnte.

Mit fehlendem freien Willen könnten wir der Verantwortung der Suche nach dem Ursinn entkommen. Wie im achten Teil von Philoskopos jedoch schon diskutiert wurde, können wir dieser Verantwortung jedoch sowieso nicht gerecht werden. Uns fehlt die Macht über die Zeit und damit auch das erforderliche Können, die ausgeführten Aktionen zu beschleunigen. Mit diesem Hintergrund hat die Frage nach dem freien Willen also keine Relevanz, auch mit freiem Willen wären wir genauso mächtig wie zuvor, hätten jedoch zusätzlich noch die Last der Suche zu tragen.

Wie sollte man mit diesem Resultat nun umgehen? Ob freier Wille oder nicht, uns wird zumindest vorgespielt, dass wir eine aktive Rolle haben, in unserem alltäglichen Leben sind wir zweifelsfrei Entscheidungen ausgesetzt, die von uns getroffen werden müssen. Wie sollen wir dieser aktiven Rolle, dieser möglichen Illusion begegnen? Welche Entscheidungen sollten wir treffen, um nicht im Heuhaufen zugrunde zu gehen? Woher sollen wir den Sinn für unser alltägliches Leben nehmen? Die folgenden Philoskopos Teile werden eine mögliche Antwort für diese Fragen entwickeln.